Wenn es sich in diesem Fall auch nicht um eine tatsächliche Neuerscheinung, sondern eine Neuauflage in neuem Format handelt (erstmals erschien die Geschichte bereits 2011), ist sie gefundener Anlass noch einmal an dieses sehr lesenswerte Buch zu erinnern. Angesichts der aktuellen Flüchtlingsbewegungen im Mittelmeerraum ist diese Geschichte, die obendrein auf einer wahren Begebenheit beruht, einmal mehr von großer Brisanz für uns Leser von heute. Fabio Geda erzählt nämlich die Geschichte des zehnjährigen Afghanen Enaiatollah Akbari (Enaiat genannt), der nachdem ihn seine Mutter in Pakistan allein zurücklässt, sich bis nach Italien durchschlägt. Sein Vater war LKW-Fahrer und wurde bei einer Fahrt im Gebirge überfallen und getötet. Seine Arbeitgeber hatten ihm zuvor gedroht, dass wenn er die Waren aus dem Iran nicht unbeschadet besorge, man seine Familie umbringe. Nach seinem Tod forderten sie von seiner Frau, Enaiatollahs Mutter, zunächst Schadensersatz. Als der Onkel Enaiatollahs ihnen nicht mehr weiterhelfen kann, beschließt die Mutter mit ihrem Sohn zu fliehen. In einer Herberge in Pakistan lässt sie ihren Sohn zurück und kehrt nach Afghanistan zurück. Enaiatollah arbeitet zunächst in der Herberge, in der er mit der Mutter noch übernachtet hatte, bis er seine Reise durch den Iran, die Türkei und Griechenland bis nach Italien antritt. In Italien strandet er in Venedig und schlägt sich bis nach Rom durch: „Please Rome, please Rome“ ist die Formel, mit der der kleine Junge sich zu verständigen versucht und dabei immer wieder mit Missverständnissen und Unverständnis zu kämpfen hat. Der Junge erreicht sein Ziel, einen Ort, an dem er bleiben will:
Und wie passt das alles nun zu unserer Turiner Woche? Ganz einfach: Erstens ist Enaiats Reise in Rom noch nicht zuende: auf dem Weg in sein zweites Leben tragen ihn am Ende die Worte „scindere Torino, scindere Torino“. Und zweitens wurde Fabio Geda 1972 in Turin geboren, wo er bis heute lebt und wo er den Protagonisten seiner Erzählung im Anschluss an eine Lesung kennengelernt hat. Dass es sich um eine wahre Geschichte handelt, verrät nicht nur der Untertitel, sondern zeigt auch die erzählerische Konstruktion an. Immer wieder wird die Erzählung von kursiv gedruckten Passagen unterbrochen, in denen der Protagonist Enaiat mit dem Autor Fabio in ein direktes Gespräch tritt, um darüber zu diskutieren und zu reflektieren, was den Leser an Wissen vermittelt werden muss, um Vorurteile zu bekämpfen, z.B. dass nicht alle Afghanen Talibane sind: „Wir werden das ein für alle Mal klarstellen, Enaiat“, spricht die Stimme des Autors. „Das ist mir sehr wichtig, Fabio“, betont der Protagonist und Erzähler Enaiat. Keineswegs entspricht dieser Text einem nüchternen Bericht, nein, das Reale bricht vielmehr in eine literarische Erzählung ein, die zuweilen ganz poetische Züge annimmt, z.B. wenn sich Enaiat an seine Heimat erinnert: „Und dann die Sterne, jede Menge Sterne. Der Mond. Ich weiß nocht, wie wir manchmal im Freien bei Mondschein aßen, um Petroleum zu sparen.“ (Seite 22) Und genau diese Mischung von Wahrhaftigkeit und Poesie macht Gedas Geschichte so lesenswert, spannend und bewegend.