Folge 9: Düsseldorf – Das Kaiserpanorama

Schaufenster zur Welt oder die Entdeckung Süditaliens in Deutschland

Der Berliner Physiker und Unternehmer August Fuhrmann (1844-1925) erfand im 19. Jahrhundert das so genannte Kaiserpanorama. Der Nachbau eines solchen Kaiserpanoramas ist im vierten Stock des Düsseldorfer Filmmuseums zu sehen.

Ab 1870 entwickelte Fuhrmann in bis zu 250 Städten Serien von jeweils fünfzig Bildern. Die thematisch geordneten Bilderserien waren durch fernglasähnliche Okulare zu sehen, die in von innen beleuchtete Rundkabinette eingebaut waren. Diese Rundkabinette wurden durch ein Uhrwerk angetrieben und ein Klingelzeichen läutete alle zwanzig Sekunden den Wechsel der Bilder ein. Eine gewöhnliche Vorstellung, die von etwa bis zu fünfundzwanzig Personen gleichzeitig betrachtet werden konnte, dauerte ca. zwanzig Minuten. Um 1910 existierten rund 650 Bilderzyklen zu je fünfzig handkolorierten doppelten Glasdias. August Fuhrmann hatte mit dem Kaiserpanorama ein populäres Massenmedium geschaffen, das er erstmals 1880 in Breslau präsentierte und 1883 in die Kaiserpassage – eine Einkaufsgalerie – nach Berlin Mitte verlegte.

Die Schaufenster zur Welt dienten sowohl der Vergnügung als auch der Entdeckung exotischer Länder und unbekannter Welten wie Palästina, Russland, Norwegen, Südamerika oder eben Italien. Die in Düsseldorf zu sehende Serie zeigt nicht nur Sehenswürdigkeiten wie etwa »POMPEJI – In der Museumshalle«, sondern auch Alltagsszenerien wie den Verkehr in den Straßen Neapels: »NEAPEL – Häuser und Verkehr von Santa Lucia«. Grundsätzlich führten Kaiserpanoramen neben Kulturgütern, musealen Objekten und Stadtansichten auch Naturspektakel wie den Ausbruch des Vesuvs vor. Dabei nährte das Kaiserpanorama sowohl die Neugierde als auch die Vorbehalte und Ängste der Zuschauer vor dem Fremden. Zwischen Faszination und Aufklärung befriedigten die Kaiserpanoramen folglich unterschiedliche Interessen. Stand nicht ein spezifisches Werbeinteresse für das eigene Land im Vordergrund, so waren es neben dem Vergnügen und Spektakel v. a. Bildungsinteressen, die mit dem Kaiserpanorama erfüllt wurden. Die Bildserien dienten der Länder-, Völker und Heimatkunde exotischer, unerreichbarer Länder in der Ferne.

Der deutsche Philosoph, Kulturkritiker, Übersetzer und Schriftsteller Walter Benjamin (1892-1940) verfasste einen kleinen Text mit dem Titel »Das Kaiserpanorama«, der in seiner Berliner Kindheit um neunzehnhundert 1932-34/1938 erschien und von seinen Eindrücken erzählt:  

Es war ein großer Reiz der Reisebilder, die man im Kaiserpanorama fand, daß es nicht darauf ankam, wo man die Runde anfing. Denn weil die Schauwand mit den Sitzgelegenheiten davor Kreisform hatte, passierte jedes sämtliche Stationen, von denen aus man durch je ein Fensterpaar in seine schwach getönte Ferne sah. Platz fand man immer. Und besonders gegen das Ende meiner Kindheit, als die Mode den Kaiserpanoramen schon den Rücken kehrte, gewöhnte man sich, im halbleeren Zimmer rundzureisen.

Musik, die Reisen mit dem Film so erschlaffend macht, gab es im Kaiserpanorama nicht. Mir schien ein kleiner, eigentlich störender Effekt ihr überlegen. Das war ein Klingeln, welches wenige Sekunden, ehe das Bild ruckweise abzog, um erst eine Lücke und dann das nächste freizugeben, anschlug. Und jedesmal, wenn es erklang, durchtränkten die Berge bis auf ihren Fuß, die Städte in ihren spiegelklaren Fenstern, die Bahnhöfe mit ihrem gelben Qualm, die Rebenhügel bis ins kleinste Blatt, sich mit dem Weh des Abschieds. Ich kam zur Überzeugung, es sei unmöglich, die Herrlichkeit der Gegend für diesmal auszuschöpfen. Und dann entstand der nie befolgte Vorsatz, am nächsten Tage noch einmal vorbeizukommen. Doch ehe ich mir schlüssig war, erbebte der ganze Bau, von dem mich die Holzverschalung trennte; das Bild wankte in seinem kleinen Rahmen, um sich alsbald nach links vor meinen Blicken davonzumachen. […]

Walter Benjamin: Berliner Kindheit um neunzehnhundert, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1986. S. 14-15.

Heute sind insgesamt nur ca. sechs originale Kaiserpanoramen und ein paar Nachbildungen erhalten. Von den ursprünglich 110.000 Stereobildern tauchten 1979 etwa 12.000 in Berlin wieder auf. Originale erhaltene Kaiserpanoramen sind heute in den Stadtmuseen von München und Wels (Österreich), im Deutschen Historischen Museum und im Märkischen Museum in Berlin zu sehen.


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