Aus dem Giornale Poetico
Mein Venedig
Sie sah ich die Stadt im Meere
Strahlen in der Sonne Pracht,
Sah nie gleiten sehnsuchtsschwere
Gondeln durch die blaue Nacht.
Doch für mich sind deine dunkeln
Augen, drin die Liebe wacht,
Wenn sie leuchten, wenn sie funkeln
Mein Venedig.
Sonnig still wie die Lagunen
Träumen sie den Märchentraum,
Und es flimmern goldne Runen
Auf dem Silberwellenschaum.
Leichte Gondeln feiernd schwanken
Durch den heilig stillen Raum
Oder sind es Lichtgedanken —
Mein Venedig!
Dogen einst in Sonnengluten
Freiten stolz das ew’ge Meer,
Und sie opferten den Fluten
Goldne Ringe, perlenschwer.
Ich auch fühle, wonnetrunken,
All mein Lieben heiß und hehr
Tief in deinem Blick versunken —
Mein Venedig!
Isabelle Kaiser, aus Mein Herz, Stuttgart 1908
Quelle: www.gedichte.xbib.de/Kaiser,+Isabelle_gedicht_028.+Mein+Venedig.html