Gastland Italien: FrankfurtER Buchmesse 2024 – die Entwicklung des Lizenzhandels

Ist die deutsche Liebe zum La Dolce Vita so groß wie zur italienischen Literatur?

Italien war für viele Deutsche schon immer ein Sehnsuchtsland. Im 20. Jahrhundert entdeckte die deutsche Nachkriegsgesellschaft über die italienischen Gastarbeiter das Dolce Vita. Die ersten Eisdielen und Pizzerien gab es schon in den 1950er-Jahren. War das Sehnsuchtsland Italien bis dahin vor allem eines, das Dichter und Denker anzog, war es fortan vor allem eines, das über Kulinarik und Tourismus zahllose Liebhaber für sich gewann. Die italienische Literatur fand vor allem in literaturbeflissenen Kreisen ihre Liebhaber.

Bereits unmittelbar nach 1945 wurden in den einzelnen deutschen Besatzungszonen einige italienische Schriftsteller in literarischen Zeitschriften und Anthologien gedruckt und besprochen. Die Wichtigsten unter ihnen waren Carlo Emilio Gadda, Italo Calvino, Alberto Moravia, Ignazio Silone, Cesare Pavese, Vasco Pratolini und Elio Vittorini. Die Rezeption italienischer Literatur in Deutschland orientierte sich damit weniger an italienischen Erfolgsautoren als vielmehr an den Interessen der jeweiligen Übersetzer, der Verleger und des deutschen Publikums.

Der Romanist Hans Hinterhäuser hob in seinem Buch Italien zwischen Schwarz und Rot (1956) u. a. Corrado Alvaro, Curzio Malaparte, Carlo Levi und Alberto Moravia und ihre »schonungslose offene nationale Selbstkritik« und Abrechnung mit dem Faschismus hervor, die sie zu den Vorläufern der Autoren des italienischen Neorealismus machte. Alberto Moravia wurde bei deutschen Lesern sehr beliebt, sodass »die Verleger es sich erlauben konnten, ihn regelmäßig übersetzen zu lassen, ohne auf die sonstige Konjunktur des Buchmarktes zu achten.« Hinterhäuser wandte sich auch den Vätern und Meistern des italienischen Neorealismus zu, zu denen er Elio Vittorini und Cesare Pavese zählte.

Zum wichtigsten Kenner und Kulturvermittler der italienischen Literatur wurde neben Hans Hinterhäuser der Autor Alfred Andersch, der mit Elio Vittorini befreundet war und als Herausgeber der Zeitschrift Texte und Zeichen den Neorealismus als eine »der gültigsten Stilbewegungen der Moderne« hervorhob. Hinterhäusers und Anderschs Vermittlungen der italienischen Literatur füllten damit die Lücke, die die Kulturpolitik der Besatzungsmächte – zu denen Italien als Land der Verlierer nicht gehörte – verursacht hatte, die die Rezeption der französischen und amerikanischen Kultur in Deutschland bevorzugt förderten.

Neben damals zeitgenössischer italienischer Literatur wurden auch italienische Klassiker wiedergewonnen, zum Beispiel Luigi Pirandello und der Hauptvertreter des Verismus Giovanni Verga mit seinem Roman I Malavoglia (1881), der ein wichtiger Bezugspunkt für den italienischen Neorealismus war. Ebenfalls sehr beliebt war in Deutschland der italienische Bestsellerroman Gattopardo (1958) von Giuseppe Tomasi di Lampedusa.

Einen ebenso wichtigen Beitrag zur Verbreitung der italienischen Literatur im Nachkriegsdeutschland leistete Alfred Döblin. Döblin, Herausgeber der Zeitschrift Das goldene Tor. Monatszeitschrift für Literatur und Kunst, widmete 1948 das dritte Heft der »neuen« italienischen Literatur und stellte eine ganze Reihe italienischer Autoren mit biografischen Abrissen, Werkbesprechungen und Werkauszügen vor.

Der Komparatist Horst Rüdiger, der während des Zweiten Weltkriegs einige Jahre in Italien verbracht hatte, favorisierte insbesondere Cesare Pavese dank seiner »skeptischen Objektivität« und »nüchterne[n] Diktion«, die seiner Ansicht nach das »moralisch Dubiose« aufscheinen ließ.  Die Klassiker der italienischen Resistenza-Literatur wurden jedoch erst in den 1960er-Jahren ins Deutsche übersetzt.

Vasco Pratolinis Roman Cronache di poveri amanti (1947), der 1949 in seiner deutschen Übersetzung Chronik armer Liebesleute im Verlag Winkler in München erschien, war einer der ersten modernen italienischen Romane, die in Westdeutschland auf den Markt kamen.

Cesare Pavese, dessen Werk am umfassendsten ins Deutsche übersetzt wurde, wurde auch durch seine Rezeption seitens des Autors Hans Erich Nossack bekannt. Insbesondere sein letzter Roman La luna e il falò (Junger Mond) fand eine breite Rezeption in Deutschland, auch weil es der erste Roman Paveses war, der 1954 in deutscher Sprache im Düsseldorfer Claassen Verlag erschien. Insbesondere Pavese wird heute von verschiedenen Verlagen, zum Beispiel Edition Blau neuaufgelegt.

Heinrich Böll und Wolfgang Koeppen waren vor allem von der »Durchdringung der Vergangenheit und [der] damit einhergehende Entmythologisierung« in Paveses literarischer Gestaltung beeindruckt. In einem kurzen Essay hob Böll die »Weisheit, Ruhe und eine große Zärtlichkeit dem Leben und den Lebenden gegenüber« als Besonderheit in Paveses Roman Junger Mond hervor.

Elio Vittorini in Mailand, 1949, Foto: Federico Patellani

Die ersten deutschen Übersetzungen der Werke Elio Vittorinis erschienen wie diejenigen Paveses im Hamburger Claassen Verlag. Sein weltberühmter Resistenza-Roman Uomini e no (Dennoch Menschen) wurde jedoch erst 1963 im Walter Verlag in Deutschland herausgegeben. Die Büchergilde Gutenberg in Zürich übertrug diesen Roman bereits 1946 unter dem Titel Der Mensch erstmals in die deutsche Sprache. Ebenfalls im Walter-Verlag erschienen 1959 sein Diario in pubblico (Offenes Tagebuch), zu dem Alfred Andersch ein Vorwort schrieb.

Dieser kleine Ausflug in die Übersetzungsgeschichte italienischer Literatur in der deutschen Nachkriegszeit zeigt, dass auch die Liebe zur italienischen Literatur in Deutschland zwar langsam, aber kontinuierlich gewachsen ist. Und so verwundert es nicht, dass das Italienische unter den zehn wichtigsten Sprachen für Übersetzungen (Erstauflagen) ins Deutsche in den Jahren 2018-2022 auf Platz 4 nach Englisch, Französisch und Japanisch stand.

In den letzten Jahrzehnten ist der Anteil italienischer Übersetzungen in deutschen Verlagen jedoch kleiner geworden. Waren 1975 noch 3,7 % der Übersetzungen solche aus dem Italienischen, erlebte die italienische Literatur in Deutschland mit einem Marktanteil von 4,4 % einen Höhepunkt im Jahr 1988. Im Jahr 2022 lag der Anteil bei 2,4 %, das heißt 226 Titel von insgesamt 9860 übersetzten Titeln insgesamt. Davon waren 74 Titel Belletristik-Übersetzungen.

Die italienischen Verlage übersetzen lange mehr deutsche Buchtitel als deutsche Verlage aus dem Italienischen. Einen Höhepunkt in der Lizenzvergabe lässt sich in den 1980er-Jahren und Anfang der 1990er-Jahre mit um die 11 bis 14 % Anteil aller Übersetzungen datieren. Im Jahr 2022 lag der Anteil bei 5,6 %.

Nach der Corona-Pandemie gab es erneut einen Aufschwung an Übersetzungen aus dem Italienischen. »Trotzdem hat sich der Rechtehandel im vergangenen Jahr merklich abgekühlt«, heißt es im Jahresbericht Buch und Buchhandel in Zahlen 2023 des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels (Seite 108). Im Jahr 2022 wurden 14,4 Prozent weniger deutsche Bücher an ausländische Verlage (alle Sprachen) gegenüber dem Vorjahr verkauft.

Gegenüber einem starken Lizenzhandel in den Jahren 2015-2021 markiert das einen spürbaren Einbruch. »Ein zentraler Grund für das nun rückläufige Lizenzgeschäft dürfte aber vor allem der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sein: Er sorgte weltweit für wirtschaftliche Verunsicherung und hohe Teuerungsraten, die auch die internationale Verlagsbranche treffen.«

Russland gehörte bis dahin zu den wichtigsten Lizenzpartnern deutscher Verlage« (Buch und Buchhandel in Zahlen 2023, Seite 109). Stand Italien bei der Lizenzvergabe ins Ausland 2018 und 2019 noch auf Platz 3 nach China und Russland, rutschte Italien 2020 auf Platz 5, stieg ein Jahr später wieder auf Platz 3 und 2022 sogar auf Platz 2, während die Lizenzvergaben an Russland nur noch auf Platz 10 lagen.

Wir sehen daran, welchen Einfluss politische Entwicklungen auch auf den Kulturbetrieb haben und wie fatal ein Boykott bestimmter ausländischer Literaturen nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch ethischen Gründen ist. Denn die Literatur eines Landes ist vielfältiger – historisch und gegenwärtig – als der Status quo aktueller politischer Lagen. Wenn wir unsere Literaturen nicht mehr gegenseitig lesen, wie wollen wir dann in einer Zeit Verständigung finden, in der jede politische Zusammenarbeit unmöglich geworden ist?

Dass Italien in der Lizenzvergabe für deutsche Verlage auf Platz 2 im Jahr 2022 steht, ist schließlich weniger ein gesteigertes Interesse an der italienischen Literatur als Folge (wirtschafts-)politischer Veränderungen und dem damit verbundenen Rückgang des Lizenzhandels insgesamt. Zugleich zeigt sich, das Italien sowohl für die deutsche Lizenzvergabe als auch den Kauf italienischer Lizenzen als ein wichtiger Partner rangiert.

Neben politischen Faktoren verdeutlich der Blick in die Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg, wie wichtig es für das Interesse an ausländischen Literaturen die Besprechungen und Auseinandersetzungen seitens Autorinnen und Autoren, Publizisten und anderen Kulturschaffenden sind. Dieser Aufgabe widmet sich auch das Magazin Italienreport, das im September 2024 sein 10-jähriges Bestehen feiert. Lesen und sprechen wir miteinander über italienische Literatur!

Quellen

Andersch, Alfred: Nachricht über Vittorini [1959], in: Ders. (2004): Gesammelte Werke, Bd. 9: Essayistische Schriften 2. S. 273-286.
Böll, Heinrich, Heimkehr in die Fremde. Über Cesare Pavese, »Junger Mond«. In: Ders.: Werke, Kölner Ausgabe, Bd. 9: 1954-1956, hg. v. J. H. Reid, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2006, S. 15-16, hier S. 16.
Börsenverein des deutschen Buchhandels, Buch und Buchhandel in Zahlen 2023, 2024.
Hinterhäuser, Hans, Italienische Literatur in Deutschland 1945-1965, in: Jahresring 66/67, Beiträge zur deutschen Literatur und Kunst der Gegenwart.
Hinterhäuser, Hans, Italien zwischen Schwarz und Rot, Stuttgart: Kohlhammer 1956.
Kapp, Volker, Übersetzung italienischer Nachkriegsliteratur, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 37 (1996). S. 343-363. Hier S. 345.
Rüdiger, Horst, Die Neutralisierung der Extreme im italienischen Roman, in: Merkur 3 (1949) H. 14. S. 400-407.
Schmidt-Bergmann, Hansgeorg, »– eine selbstverständliche littérature engagée« – die italienische Nachkriegsliteratur in Deutschland zwischen »Nullpunkt« und »Restauration«, in: Anna Comi und Alexandra Pontzen (Hrsg.), Italien in Deutschland – Deutschland in Italien. Die deutsch-italienischen Wechselbeziehungen in der Belletristik des 20. Jahrhunderts, 1999, S.23-35, hier S. 28.


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