Folge 7: … Tatorte – Italienische Krimis und deutsche Leser – eine unbekannte Liebe?

https://speakworlds.wordpress.com/2014/08/16/giallo-non-e-solo-un-colore/
Über italienische Kommissare aus Deutschland und deutsche Übersetzungen aus dem Italienischen

In Amerika boomen Krimis, in England boomen Krimis, in Frankreich wahrscheinlich auch, in Deutschland boomen Krimis, eine Fernsehwoche ohne Tatort ist in Deutschland keine gelungene TV-Woche und in Italien boomen Krimis mindestens so stark wie in allen anderen Ländern. Viele Krimis, die in Deutschland gelesen werden, stammen natürlich auch aus anderen Ländern, z.B. Italien. Fragt man die Krimileser seiner Umgebung nach ihren Favoriten oder immer wieder gelesenen Autoren, so sind das selten italienische Autoren. Vielleicht liegt das daran, dass der deutsche Leser nicht erst zu einer Übersetzung greifen braucht, um sich nach Italien zu träumen oder doch eher zu gruseln. Donna Leon ist vielleicht das bekannteste Beispiel, doch auch unter deutschen Krimiautoren ist Italien ein beliebter Tatort. Das widerspricht durchaus dem „Tatort-Prinzip“, das seinen Erfolg auch den regionalem Setting und Ermittlerduo verdankt. Oder wer könnte sich Thiel und Boerne in einer anderen Stadt als Münster vorstellen. Kaum einer. Und jeder weiß andersherum sofort: Münster-Krimi? Thiel und Boerne natürlich. Das Phänomen Tatort Italien ist offensichtlich keines des Fernsehens, sondern ein Kennzeichen literarischer Krimis. Dazu zählen z.B. die Krimis von Petra Reski, die sich ausführlich mit der italienischen Mafia auseinandersetzt (Die Gesichter der Toten, Hoffmann & Campe, 2015) und Serena Vitale in Palermo ermitteln lässt. Oder die Krimis von Lenz Koppelstätter, der zuletzt Der Tote am Gletscher. Ein Fall für Commissario Grauner im Kiepenheuer & Witsch Verlag veröffentlichte. Populär sind auch die Krimis von Veit Heinichen, der ehemalige Geschäftsführer des Berlin-Verlages, der seinen Commissario Proteo Laurenti in Triest ermitteln lässt.

Tatort Italien bzw. Tatort und Italien also, das lieben die Deutschen. Doch warum stammen diese Krimis so selten aus der Feder von Italienern? In Deutschland ist außer Andrea Camilleri kein italienischer Krimiautor so wirklich bekannt. Dafür kennt das deutsche Publikum Commissario Brunetti wie keinen anderen, ein Krimi-Kommissar aus Venedig. Er ist die Hauptfigur in der Krimi-Serie von Donna Leon. Der amerikanische Autor hat damit weltweit Erfolg, in Italien kennt man ihn hingegen kaum. Was läuft da schief? Während wir also die italienischen Krimis nicht kennen, kennen die Italiener unsere italienischen Kommissare nicht. Dafür kann es nur einen Grund geben: Wir sprechen von zwei verschiedenen Italien. Weil wir den Krimi genauso lieben wie Italien und deshalb es nicht ertragen würden, wenn das eine dem anderen schaden würde, wenn also der Krimi unseren Traum vom schönen Italien zerstören würde. Daher lieben viele Leser Figuren wie Commissario Brunetti, die uns quasi nebenbei das wunderschöne Venedig zeigen, wo wir sowieso unbedingt mal hinwollen oder wo wir vielleicht schon waren. Das wir die italienischen Krimis viel weniger im Gedächtnis haben oder ihnen Eintritt gewähren liegt sicher daran, dass diese Krimis häufig von einem anderen und oft viel realistischeren Italien erzählen oder das Italien eben gar nicht so sehr zum Thema machen. Irgendwie logisch. Es geht ja auch um ein Verbrechen und nicht um die Urlaubsplanung. Nicht unsere Urlaubsplanungen, doch aber vielleicht unsere Lesegewohnheiten könnten oder sollten wir vielleicht ändern. Wir werden sehen, da gibt es bereits eine ganze Menge zu lesen.

Die italienischen Romane, die insgesamt auf dem deutschen Buchmarkt nur wenig vertreten sind, sind unterm Strich häufig Krimis. Also wenn italienische Literatur, dann gerne Krimis. Das ist sicher deshalb so, weil es in Deutschland und in der ganzen Welt jenen regelrechten Krimiboom gibt. Sind die italienischen Krimis vielleicht einfach gut sind? Wer sind die Autoren, die diese Krimis schreiben? Welche italienischen Städte werden für Krimis bevorzug gewählt? Wir gehen auf Spurensuche und stoßen auf eine ganze Menge italienischer Krimis, die in Italien übrigens „giallo“ heißen. 

Das Genre des Krimis erhielt seinen Namen von einer Krimi-Reihe, die der Mondadori Verlag seit 1929 herausgab. Der Verlag veröffentlichte die Polizei-Thriller in einem gelben Einband, der schnell zum Markenzeichen für den italienischen Krimi überhaupt wurde. Und so nannte man das in Italien erst spät entstandene Genre „giallo“. Auf einem Blog des Mondadori Verlages können die Ausgaben seit 1929 bewundert werden: http://blog.librimondadori.it/blogs/ilgiallomondadori/ . Im Zweiten Weltkrieg versuchte Mussolini dann die Verbreitung des giallo durch Zensuren einzudämmen: Verbrecher durften nicht länger ungestraft davon kommen und der italienische Held durfte keinen Freitod wählen. Am interessantesten aber ist, dass die Mörder in den italienischen Krimis selbst keine Italiener sein durften. Klar, dass mit den Mördern auch die Kommissare abgewandert sind. Wenngleich es spekulativ bleibt, stellt diese historische Entwicklung des italienischen Krimis doch eine erstaunliche Pointe bereit, nämlich das italienische Kommissare und Gauner fortan aus Deutschland „geschickt“ werden. 1941 ließ Mussolini den giallo dann sogar gänzlich verbieten. Und so war der Krimi in Italien ein lange sehr unbeliebtes Genre. Er hatte es schwer sich erneut durchzusetzen, weil er als anspruchslose und poetisch minderwertige Literatur betrachtet wurde. Es ist schließlich der Verdienst von Andrea Camilleri, den italienischen Krimi in Italien wieder mehrheitsfähig gemacht zu haben, ohne dabei von der italienischen Literaturkritik auseinandergenommen zu werden. Camilleris Commissario Montalbano ermittelt übrigens in einer fiktiven Stadt, die der Geburtsstadt des Autors nachempfunden ist und auf Sizilien liegt. Nicht fiktiv verortet, aber auch nicht ganz aus unserer Zeit sind die gleich drei Kommissare von Carlo Lucarelli: Comissario De Luca ermittelt in den fünfziger Jahren in Bologna, ebenso in Bologna ermitteln Sovrintendente Coliandro und der aus Apulien versetzte Ispettore Grazia Negro. Lucarellis Krimis sind in Mini-Serien vom Fernsehen produziert worden und sind neben einzelnen Filmproduktionen sehr bekannt.
 http://blog.librimondadori.it/blogs/ilgiallomondadori/

Andrea Camilleri steht wie seine Kollegen Carlo Lucarelli und Antonio Mancini in der Tradition des Roman Noir, der sich aktuellen und brisanten Themen zuwendet, Klischees vermeidet, zuweilen innovative literarische Formen entwirft, sich aber ansonsten durch einen gemäßigten Realismus kennzeichnet, der Helden nicht beschönigt, aber den Teufel auch nicht an die Wand malt. Auffällig ist, dass in den letzten Jahren zunehmend Krimis nicht nur von Autoren, sondern auch von Richtern, Staatsanwälten und Polizisten geschrieben werden (z.B. Roberto Riccardi). Das ist ein Phänomen, das man in Deutschland weniger kennt – ausgenommen des Erfolges des Strafverteidigers Ferdinand von Schirach, dessen meist kurzen Geschichten um Schuld und Unschuld auch im Fernsehen erfolgreich sind.

Um die vielen italienischen Krimiautoren in Deutschland noch bekannter zu machen und zugleich zu zeigen, wie viele Übersetzungen italienischer Krimis in den letzten Jahren erschienen sind, schließe ich mit einem kleinen Überblick. Eine Auswahl (chronologisch sortiert)

2000

Carlo Lucarelli: Der trübe Sommer, Ein Fall für Comissario De Luca, Piper 2000.
Andrea Camilleri: Die Form des Wassers: Comissario Montalbanos löst seinen ersten Fall, Bastei Lübbe 2000. (Es erschienen nun jährlich ein Fall des Comissario Montalbano, die hier nicht alle aufgeführt werden, siehe 2015)
Santo Piazzese: Das Doppelleben der M. Laurent, DuMont 2000.
Sandrone Dazieri: Ein Gorilla zu viel, grafit 2000.

2001

Giuseppe Ferrandino: Respekt. Oder Pino und Pentecoste gegen die Maulhelden, Suhrkamp 2001.
Giorgio Scerbanenco: Die Verratenen, Kremayr & Scheriau 2001.

2003

Andrea Isari: Römische Affären, Piper 2003.
Giorgio Scerbanenco: Das Mädchen aus Mailand, btb 2003.
Carlo Lucarelli: Die schwarze Insel, Piper 2003.

2004

Giorgio Scerbanenco: Der lombardische Kurier: Ein Duca-Lamberti-Roman, btb 2004.
Giorgio Scerbanenco: Ein pflichtbewusster Mörder, btb 2004.
Nicolo Ammanti: Ich habe keine Angst, Goldmann 2004.
Carlo Lucarelli: Laura di Rimini, DuMont 2004.

2005

Giorgio Faletti: Ich töte, Goldmann 2005.

2006

Mario Soldati: Die Fälle des Maresciallo, Wagenbach 2006.
Giulio Leoni: Dante und das Mosaik des Todes, 2006.

Gianrico Carofiglio: Reise in die Nacht: Ein Fall für Avvocato Guerrieri 1, Goldmann 2006.
2007

Massimo Carlotto: Arrivederci amore, ciao, Tropen 2007.

2008

Massimo Carlotto: Die dunkle Unermesslichkeit des Todes, Tropen 2008.Gianrico Carofiglio : Im freien Fall: Ein Fall für Avvocato Guerrieri 2, Goldmann 2008.

2009

Leonardo Sciascia: Jedem das Seine. Ein sizilianischer Kriminalroman, Wagenbach 2009.
Maurizio De Giovanni: Der Winter des Comissario Riccardi, Suhrkamp 2009.Gianrico Carofiglio: Das Gesetz der Ehre: EIn Fall für Avvocato Guerrieri 3, Goldmann 2008.

2010

Emma Dante: Mitternacht in Palermo, Luchterhand 2010.Maurizio De Giovanni: Der Frühling des Comissario Riccardi, Suhrkamp 2010.
Massimo Carlotto: Der Flüchtling, Tropen 2010.

2011

Carlo Lucarelli: Schutzengel, Köln: DuMont 2011. 
Sandro Veronesi: XY, Klett-Cotta 2011.
Maurizio De Giovanni: Der Sommer des Comissario Riccardi, Suhrkamp 2011.

2012

Roberto Costantini: Du bist der Böse, Bertelsmann 2012.
Giancarlo De Cataldo, Mimmo Rafele: Zeit der Wut, Folio Verlag 2012.
Massimo Carlotto: Tödlicher Staub, Tropen 2012.
Giorgio Faletti: Der Frauenhändler, Goldmann 2012.

2013

Gianpaolo Sinni: Vater. Mörder. Kind, C. Bertelsmann 2013.
Giorgio Faletti: Falsches Spiel, Goldmann 2013. 

 Massimo Carlotto: Die Marseille-Connection, Tropen Verlag 2013.
Giancarlo De Cataldo: Der König von Rom, Folio Verlag 2013.
Diego De Silva: Meine Schwiegermutter trinkt, Luchterhand 2013.

2014

Carlo Lucarelli: Bestie, Thriller, Folio Verlag 2014.
Maurizio De Giovanni: Das Krokodil, Kindler 2014.
Maurizio De Giovanni: Die Versuchung des Comissario Ricciardi, Insel 2015.

2015

Giorgio Fontana: Tod eines glücklichen Menschen, Nagel und Kimche 2015.
Sandrone Dazieri: In der Finsternis, Piper 2015.
Carlo Bonini, Giancarlo De Cataldo: Suborra. Schwarzes Herz von Rom, Folio Verlag 2015.
Davide Longo: Der Fall Bramart, Rowohlt 2015.
Gianrico Carofiglio: Am Abgrund aller Dinge, Goldmann 2015.
Maurizio De Giovanni: Die Gauner von Pizzofalcone, Kindler 2015.
Maurizio De Giovanni: Die Klagen der Toten: Ein Fall für Comissario Ricciardi, Goldmann 2015.
Marcello Fois: Schwestern: Die alte Geschichte, Wagenbach 2015.  
Andrea Camilleri: Das Lächeln der Signora: Comissario Montalbano lässt sich blenden, Bastei Lübbe 2015.

 

Folge 12: Natalia Ginzburg: »So ist es gewesen«

Natalia Ginzburg im Wagenbach Verlag

Der literarische Durchbruch einer italienischen Autorin oder von der Wahrheit der Liebe und des Lebens

Natalia Ginzburg stößt bereits im ersten Absatz der ersten Seite ihres zweiten Romans So ist es gewesen (1947) in das Mark ihrer Geschichte: »Ich habe ihm in die Augen geschossen«, erzählt eine junge Frau, die ihrem Mann Alberto noch bei seinen Reisevorbereitungen hilft, bevor sie ihn ermorden wird und mit Regenmantel und Handschuhen in einen Park flüchtet, um sich und ihr Leben zu sammeln. Klar ist damit nicht nur, dass es in diesem kurzen Roman, der keine hundert Seiten umfasst, um Liebe, Ehe und Mord gehen wird, sondern klar ist auch, dass dieser Roman es von der ersten Sekunde an versteht, seinen Leser zu packen und eine Spannung zu erzeugen, die bis zur letzten Seite anhalten wird. Völlig schnörkellos und realistisch erzählt dieser Roman alles, was für die Geschichte notwendig ist, um die Wahrheit sowohl der Geschichte, als auch der Ästhetik und Sprache dieses Romans zu ergründen. »Ich habe zu ihm gesagt: ›Sag mir die Wahrheit‹, und er hat gesagt: ›Welche Wahrheit?‹ und zeichnete rasch etwas in sein Notizbuch.« Mit diesem Satz eröffnet Ginzburg ihren Roman und schickt damit zusammen mit dem Höhepunkt der Handlung die Moral der Geschichte ihrem Roman voraus: Was ist Wahrheit und gibt es überhaupt eine Wahrheit? Statt in weitschweifende philosophische Reflexionen oder abstrakte Charakterzeichnungen abzudriften, bleibt die Erzählerin ganz nah dran an der Geschichte, d.h. an der Realität und damit an der Wahrheit, für die das Leben geopfert wird – das eigene und das des anderen.

Verità va cercando, ch’è sí cara,

Come sa chi per lei vita rifiuta.

Um das zu verstehen, erinnert die Erzählerin ihre Vergangenheit in der Gegenwart: »Ich dachte darüber nach, was ich tun sollte. In Kürze würde ich zum Polizeipräsidium gehen, sagte ich mir. Ich würde versuchen zu erklären, wie die Dinge sich in etwa zugetragen hatten, aber es würde nicht leicht sein. Man muß beim ersten Tag beginnen (…).« Und das macht sie dann auch, sie beginnt mit dem Kennenlernen ihres Mannes bei der Familie Gaudenzi, erzählt von ihren Eltern, den Spaziergängen und Treffen mit Alberto, ihrem Liebesgeständnis, dem Heiratsantrag, von Zweifeln und Widersprüchen, der Hochzeitsreise und der zunehmenden Entfremdung, von Zweisamkeiten und Dreiecksgeschichten, vom Schweigen und von verschwiegenen Affären, von der Geliebten ihres Mannes und der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter, von Aufbrüchen und Rückkehrbewegungen, von Trennungen und Bindungen, von alten Zwängen und neuen Freiheiten, von unvorhersehbaren Ereignissen und jenem Mord, auf den dieser Roman von der ersten Seite an zusteuert. Die 1916 in Palermo geborene Natalia Ginzburg ist eine der wichtigsten italienischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Ihr bekanntester Roman ist das Lessico famigliare (Familienlexikon), das 1963 erschien und autobiographische Züge enthält. Ihr Frühwerk, etwa in eine ihrer ersten Erzählungen, Der Sommervon 1946, ist noch der Ästhetik des italienischen Neorealismus verpflichtet, bevor sie ihre ganz eigene realistische Sprache und ästhetische Nische in der italienischen Nachkriegsliteratur findet, die zwar dem Realistischen verpflichtet bleibt, sich jedoch nicht ohne weiteres einer Strömung zuordnen lässt. Über ihre schriftstellerischen Anfänge berichtete Natalia Ginzburg selbst: »Mir schien, als wollte ich den Neorealismus. Kurz gesagt, ich wollte dem entfliehen, was die Literatur in den Jahren des Faschismus gewesen war, also fern, distanziert. Weit weg von den Tatsachen des Lebens. Mir schien, der Neorealismus bedeute, sich dem Leben anzunähern, ins Leben, in die Wirklichkeit einzudringen.«1 Die Anfänge ihres Schreibens sind noch von der ästhetischen und ethischen Abgrenzung zum Faschismus und von ihrer Ehe mit Leone Ginzburg, einem antifaschistischen Widerstandskämpfer geprägt, nach dessen Ermordung 1945 durch deutsche Soldaten in einem römischen Gefängnis Natalia Ginzburg von Rom nach Turin zog. In Turin, wo sie ihre Kindheit verbracht hatte, begann sie wenig später in einem der bedeutendsten Verlagshäuser Italiens, dem Verlag Einaudi, zu arbeiten. Dort traf sie auf die geistige Elite des Landes und der Nachkriegszeit: Italo Calvino oder etwa Cesare Pavese und Elio Vittorini, die u. a. wichtigsten Autoren des italienischen Neorealismus. 1952 folgte die junge Autorin ihrem zweiten Ehemann, dem Anglistik-Professor Gabriele Baldini, erneut nach Rom, bis sie gemeinsam 1959 nach London auswanderten, wo sie auch ihr bekanntestes und vielleicht wichtigstes Werk verfasste, jenes Familienlexikon, für das sie den Premio Strega erhielt. In diesem Werk brachte sie ihren realistischen Stil, den sie in den fünfziger Jahren entwickelte, zur Vollendung. Sie selbst sagte über ihren Roman: »Es zu schreiben war für mich genauso wie sprechen.«2 In diesem Roman vermischen sich Schreiben und Leben vollständig und werden familiärer Mikrokosmos, menschliche Erinnerung und Beobachtung bis aufs äußerste entfaltet. Letztere ziehen sich wie ein roter Faden durch ihr gesamtes Werk.

Der Kurzroman So ist es gewesen (1947) markiert den Beginn dieses roten Fadens im Werk von Natalia Ginzburg und ist dabei so stringent und konsequent erzählt, wie fast keines ihrer nachfolgenden Werke mehr. Zurecht feierte Italo Calvino diesen Roman enthusiastisch, der im Schatten des darauf folgenden Werkes in Vergessenheit geraten zu sein scheint und den es unbedingt lohnt auf dieselbe Weise zu lesen wie er geschrieben worden ist: unnachgiebig, zügig, spannend, unmissverständlich und wahrhaftig.

Natalia Ginzburg: So ist es gewesen, Wagenbach Verlag 2008, 93 Seiten.
Anmerkungen
[1] Zitiert nach Albath, Maike: Der Geist von Turin. Pavese, Ginzburg, Einaudi und die Wiedergeburt Italiens nach 1943, Berlin: Berenberg Verlag 2010. S. 147.
2 Zitiert nach Albath (2010): Der Geist von Turin. S. 149.

Neuerscheinungen: Maurizio de Giovanni

Die Gauner von Pizzofalcone

Ein neuer Fall für Commissario Lojacono aus Neapel oder Die Gauner von Pizzofalcone von Maurizio de Giovanni

Maurizio de Giovanni ist 1958 in Neapel geboren. Er hat zwar Literatur studiert, arbeitet aber hauptberuflich zeitlebens als Banker, um sich die Freiheit zu nehmen, mit dem Schreiben auch wieder aufzuhören, wenn ihm keine Geschichten mehr einfallen. Doch noch fallen sie ihm ein, Gott sei Dank, denn sie werden viel und gern gelesen, nicht nur in Italien und England sowie Amerika, auch in Deutschland. Die Serie um Kommissar Lojacono, der auch in diesem Kriminalroman ermittelt, begann 2012 mit dem ersten Fall  „Il metodo de coccodrillo“, der im Mondadori Verlag und 2014 erstmals in deutscher Sprache im Rowohlt-Verlag unter dem Titel „Das Krokodil“ erschien. Für seinen ersten Fall erhielt er den wichtigsten italienischen Preis für Krimis, den Premio Scerbanenco. Seit 2013 erscheinen de Giovannis Kriminalromane in Italien im renommierten Einaudi Verlag, der erstmalig „I bastardi di Pizzofalconi“ herausgab. Dieser Fall erscheint in drei Tagen, am 28. August 2016, in deutscher Sprache, natürlich wieder im Rowohlt-Verlag. Wieder besticht bereits der Einband durch sein dargestelltes Schattenspiel in Gelb-Orange und Braun bis Schwarz wie bereits „Das Krokodil“. Kaum zu übersehen sein dürfte daher der zweite Falle des Commissario Lojacono in den Buchhandlungen, in denen Maurizio de Giovanni bereits zum beständigen Inventar gehört. Parallel zu Commissario Lojacono ermittelt nämlich auch seine eigentlich erste Ermittlerfigur, Commissario Ricciardi, den de Giovanni das erste Mal bereits 2006 mit „Le Lacrime del Pagliaccio“ (Einaudi) in die Welt des Bösen schickte. In diesem Jahr erschien auch hier ein neuer Fall, „Serenata senza nome. Notturno per il commissario Ricciardi“ (Einaudi 2016). Getrost könnte Maurizio de Giovanni, der als einer der wichtigsten italienischen Krimi-Autoren angesehen werden kann, allein von seinen Büchern Leben. Doch vielleicht liegt gerade darin das Geheimnis seiner Fantasie, die sich nicht kommerzialisieren muss, um zu überleben und gerade deshalb ungebrochen weiterzuerzählen vermag. Übrigens ist de Giovanni nicht nur Krimi-Autor, sondern auch Autor zahlreicher Erzählungen, die den deutschen Lesern bisher unbekannt sein dürften. Doch es gibt ja auch so viel noch zu lesen, denn in italienischer Sprache liegen bereits drei weitere Fälle seiner Kommissare vor. Es bleibt also spannend! In „Die Gauner von Pizzofalcone“ führt es den Commissario, der gerade erst in seinem neuen Kommissariat in Pizzofalcone seine Arbeit aufnimmt, in die besten Viertel Neapels, in dem die Gattin eines Notars tot aufgefunden wird. Nicht nur kämpft Lojacono gegen den schlechten Ruf seiner Vorgänger an, sondern auch gegen die undurchsichtige Faktenlage, die darauf hindeutet, dass der Mörder nicht irgendjemand, sondern ein Bekannter des Opfers gewesen sein muss…

Maurizio de Giovanni: Die Gauner von Pizzofalcone, Lojacono ermittelt in Neapel,
aus dem Italienischen von Susanne van Volxem, Berlin: Rowohlt 2016. 9,99€
 
Auf der Homepage des Rowohlt Verlages stehen ein Interview mit dem Autor und eine Leseprobe bereit: http://www.rowohlt.de/news/inspektor-lojacono-neapel-das-krokodil.html
 
Wer mehr über den italienischen Krimi erfahren möchte, sei herzlich zu Italienreports7. Folge vom 29. November 2015 in der Rubrik „Conversazione a…“ eingeladen:
 
Italienische Krimis und deutsche Leser – eine unbekannte Liebe?
Über italienische Kommissare aus Deutschland und
deutsche Übersetzungen aus dem Italienischen

Folge 6: … Napoli oder Wo bist du? Ich bin da, das ist irgendwo.

Neapel / Napoli. Ein Leben für viele, aber keins für sich. Roberto Saviano

Roberto Saviano wurde 1979 in der Nähe von Neapel geboren. Doch nicht einfach irgendwo, sondern in der Kleinstadt Casal di Principe, die ca. 20 km nördlich von Neapel gelegen und eine Hochburg der Camorra ist. Camorrawerden alle organisierten Familienclans genannt, die in Neapel und ganz Kampanien ihre kriminellen Machenschaften ausüben. Dazu gehören Drogenhandel, Waffenhandel, illegale Müllentsorgung und Schutzgelderpressung. Die Mafiosi der Camorra wirken jedoch nicht in irgendeinem Untergrund, sie sind nicht düster und müssen sich verstecken, weil man ihnen ansieht, dass sie Mafiosi sind. Im Gegenteil: Es handelt sich um ganz „normale“ Menschen, die nicht auffallen und unter dem Deckmantel der Normalität mitten in der Gesellschaft, z.B. im Baugewerbe oder in der Modebranche, Aufträge annehmen und Geschäfte machen, die sie dazu missbrauchen, das kriminell erwirtschaftete Geld rein zu waschen. Diese Normalität scheinbar sauberer Geschäftsmänner macht sie so erfolgreich und zugleich so gefährlich.

Obwohl die Camorra im Laufe der Jahre mehrere Male für besiegt geglaubt wurde, ist sie heute wieder am Aufsteigen. In den neunziger Jahren saßen zahlreiche Mafia-Bosse im Gefängnis und 2010 fasste man endlich den flüchtigen Anführer Antonio Iovine, der zwei Jahre zuvor zu einer lebenslangen Strafe verurteilt worden war. Und dennoch: Die Camorra wirkt weiter. Dass das so ist, erklärt bereits die Tatsache, dass es sich hier nicht um eine kleine Gruppierung einzelner Krimineller handelt, sondern um jene Clans, die ganze Familien und damit alle Generationen umspannen. Für Nachwuchs ist also gesorgt. Der Schriftsteller Roberto Saviano ist nun inmitten dieser Welt geboren und aufgewachsen. Damit kennt er diese Welt nicht nur sehr gut, sondern sie kennt auch ihn. Und deshalb wird man Saviano nie in den Straßen Neapels antreffen. Denn Saviano hat die Mafia mit seinen Texten nicht etwa populär gemacht – dagegen hätte die Mafia keine Einwände gehabt – nein, Saviano hat die wahren gesellschaftlichen und politischen Verstrickungen der Camorra aufgedeckt. In seinen Büchern, die zwischen Roman und journalistischer Reportage schweben, hat er die Strukturen der Camorra dargestellt und die Namen der Täter enthüllt. Damit erhielt dieses gut funktionierende System ein Gesicht, das verantwortlich gemacht werden konnte. Mit seinem ersten Roman Gomorra: Viaggio nell’impero economico e nel sogno di dominio della Camorra (Mondadori 2006), zu Deutsch Gomorrha, Reise in das Reich der Camorra (Carl Hanser 2007/dtv 2015) wurde Saviano weltberühmt und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Matteo Garrone verfilmte 2008 Savianos Buch. Der Preis für dieses Buch war jedoch höher als hoch. Saviano hat sein Leben für die Bekämpfung der Camorra geopfert. Außer seines Weltruhms ist für ihn selbst nicht viel geblieben. Es gibt keine angemessene Form, mit der man seinen Verdienst würdigen könnte, um den Preis, den er dafür gezahlt hat auch nur ein klein wenig zurückzubezahlen. 

Neben dem Ruhm erhielt Saviano nämlich Morddrohungen, weshalb Umberto Eco 2006 appellierte für seinen Personenschutz zu sorgen, den das Innenministerium noch im selben Jahr umsetzte. Seitdem aber lebt Saviano versteckt an immer wieder wechselnden Orten – irgendwo, mehr darf die Öffentlichkeit nicht erfahren. Ein normales Leben ist damit für ihn unmöglich. Kein fester Wohnsitz, kein Familienalltag, kein Berufsalltag, kein entspannter Urlaub, keine Freiheit – immer auf der Flucht. Und während die Mafia in Italien im Kreise der Familie und von der Heimat aus in die ganze Welt ausstrahlend ihre Machenschaften immer weiterreiben kann, muss Roberto Saviano sein Leben für die Täter opfern. In der Konsequenz bedeutet das, dass nicht die eigentlichen Täter in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, sondern das Saviano das unfreie und versteckte Leben eines verfolgten Täters führen muss. Die Kriminellen haben damit den Demokraten kriminalisiert. Wer hier also wen jagt, ist eine Frage, auf die es leider keine einfachen Antworten gibt. Recht und Unrecht laufen auf derselben Straße, aber in völlig verschiedene Richtungen. Und Gerechtigkeit ist viel komplexer, als sie ein Rechtsstaat vertreten kann. So wie Saviano die Bekämpfung der Mafia immer wieder gelungen ist, ist es der Mafia gelungen, die Werte einer demokratischen Gesellschaft anzugreifen und zu gefährden. Und warum? Weil die wahren Täter ein Netz von Lobbyisten in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft haben, dass in der demokratischen Gesellschaft funktioniert, weil die Nutznießer der Demokratie und freien Marktwirtschaft die organisierte Wirtschaftskriminalität mitträgt. Die Mafiosi sind keine bewaffneten Streuner, sondern Unternehmer in feinen Anzügen, Geschäftsleute, mächtige Einflussgrößen der Wirtschaft. Will man sie besiegen, muss man das ökonomische System „fundamental ändern“ – so Saviano kürzlich in einem Interview mit Ulrich Ladurner von der Wochenzeitung Die Zeit (15.10.2015, Nr. 42, S. 51).
 „Dieses Buch hat mein Leben zerstört.“

Roberto Saviano, der in Neapel Philosophie studierte und als freier Schriftsteller und Journalist leben wollte, hat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung 2008 von seinen Zweifeln erzählt: „Jeden Morgen frage ich mich, warum ich das gemacht habe, und finde keine Antwort, weiß nicht, ob es das wert war.“ (SZ, 14.10.2008) Gegenüber der Welt am Sonntag äußerte Saviano: „Dieses Buch hat mein Leben zerstört. Es ist wichtig zu berichten, keine Angst zu zeigen, sich nicht zum Schweigen bringen zu lassen. Aber genauso wichtig ist es, seine Straße zum Glück zu verteidigen. Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich das finden soll. Ich leben ja völlig isoliert von meinen Mitmenschen“ (Welt am Sonntag, 26.05.2013). Und Saviano hat weitergeschrieben, bis heute. Er versteht sich dabei selbst als Schriftsteller, der journalistisches Material in nicht-fiktionale Literatur verwandelt. Folgende Bücher Savianos sind auf diese Weise entstanden und von Friederike Hausmann und Rita Seuß ins Deutsche übersetzt worden: Il contrario della morte (Corriere della Sera, Mailand 2007)/Das Gegenteil von Tod (Hanser, München 2009); La bellezza e l’inferno. Scritti 2004–2009 (Mondadori, Mailand 2009)/Die Schönheit und die Hölle – Texte 2004–2009 (Suhrkamp, Berlin 2010); Vieni via con me (Feltrinelli, Mailand 2011)/Der Kampf geht weiter: Widerstand gegen Mafia und Korruption (Hanser, München 2012). Zuletzt erschien ZeroZeroZero (Feltrinelli, Mailand 2013) 2014 in der gleichnamigen deutschen Übersetzung von Rita Seuß und Walter Kögeler im Hanser Verlag in München. Doch Saviano hat nicht nur weiter geschrieben, auch an seiner Isolation hat sich bis heute nichts geändert. Seitdem bekannt wurde, dass die Comorra ihn noch im selben Jahr bis Weihnachten auf der Autobahn in die Luft sprengen wollte, weigern sich Fluglinien, Saviano zu befördern oder Hotels, ihn zu beherbergen. Die Nobelpreisträger Günter Grass, Dario Fo, Michail Gorbatschow, Orhan Pamuk, Rita Levi-Montalcini und Desmond Tutu forderten in einem öffentlichen Appel die italienische Regierung dazu auf, Saviano noch besser zu schützen.

„Die Wirklichkeit übertrifft bei Weitem die Vorstellungskraft.

Nach einer langen internen Debatte der Schwedischen Akademie, die den Nobelpreis verleiht, entschied sich diese, ihre politische Neutralität aufzugeben und Saviano und Salman Rushdie zu einer Diskussion über Das freie Wort und die gesetzlose Gewalt nach Stockholm einzuladen. Saviano arbeitet weiterhin als Schriftsteller und „freier“ Journalist für die italienische Zeitschrift L’Espresso und für die Tageszeitung Il Manifesto und Corriere della Sera. Im Jahre 2010 moderierte er die sehr erfolgreiche vierteilige Sendung Vieni via con me (Komm weg mit mir) des Senders Rai 3. Darin lasen prominente Persönlichkeiten sowie das Moderatoren-Duo Saviano und Fabio Fazio Listen zu verschiedenen, kontroversen Themen vor, die mit Daten der aktuellen Gegenwart korreliert wurden, um die Evidenz dieser politischen und gesellschaftlichen Probleme aufzuzeigen. Abwechslung fand diese Lesung durch verschiedene eingeladene Gäste, Sänger, Schriftsteller und andere Künstler. Bis heute bereut Saviano sein Buch Gomorrha veröffentlicht zu haben. Warum? Weil die Camorra sich verändert hat: „Die Camorra von heute ist noch viel gefährlicher als die aus dem Jahr 2006.“ (Die Zeit, 15.10.2015). „>Man sollte sich also keinen falschen Illusionen hingeben, denn so Roberto Saviano in demselben Interview: „Die Wirklichkeit übertrifft bei Weitem die Vorstellungskraft.“

Die Mafia lebt, in jeder Sekunde von gestern, heute bis morgen, überall, nicht nur in Italien. Doch das ist eine andere Geschichte, von der ich euch das nächste Mal erzählen möchte. Bis dahin empfiehlt euch Italienreport die Bücher von Roberto Saviano und zum Einstieg ein paar Interviews und Webseiten:

Offizielle Webseite Savianos: http://www.robertosaviano.com/ 
Welt am Sonntag 2008: http://www-sueddeutsche.de/panorama/saviano-und-die-mafia-der-lohn-ist-angst.1.519017 
Süddeutsche Zeitung 2013: http://www.welt.de/vermischtes/article116529578/Die-Mafia-ist-in-Deutschland-absurd-sicher.html 
Tagesspiegel 2014: http://www.tagesspiegel.de/medien/roberto-saviano-ueber-die-mafia-ich-fuehlte-mich-unbesiegbar-heute-habe-ich-angst/10129212.html
Roberto Saviano im Interview mit Ulrich Ladurner, „Ich habe es oft bereut“, Die Zeit, 15. 10. 2015, Nr. 42. S. 51-52. Online: http://www.zeit.de/2015/42/roberto-saviano-mafia-gomorrha 

Foto: Giancarlo Belfiore, Abbildung ohne Änderungen, Quelle der Originaldatei: https://www.flickr.com/photos/journalismfestival/6312865856/


deutsch-italienische Grenzgänge

Grenzgänge des Fotografen Valerio Vincenzo

Valerio Vincenzo ist ein italienischer Fotograf, der über acht Jahre lang die Grenzen innerhalb Europas, die geographischen, politischen und kulturellen, die physischen wie die mentalen Grenzen aufgespürt, erforscht und dokumentiert hat. Dabei zeigen die Fotografien oftmals nicht das, was man sich gerade in diesen Tagen der Flüchtlingskrise unter eine Grenze vorstellt. Vincenzos Fotografien laden ein Grenzen friedlich zu denken. Sie arbeiten sich damit weniger an den Grenzen der Vergangenheiten ab als an dem Entwurf von Grenzen in der Zukunft. Eine ästhetisch wie ethische Punktlandung vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Ereignisse. Seht her, es lohnt sich! Mehr unter http://www.valeriovincenzo.com/

 
 

„Poesia Italiana, Italienische Lyrik“

Italienische Lyrik

Ausgewählt und übersetzt von Christoph Wilhelm Aigner, Società Dante Alighieri Salzburg 2015

Ein Autor, ein Gedicht, aber mehr als ein Jahrhundert. Diese Anthologie der Dante-Gesellschaft in Salzburg besticht durch ihre Klarheit und Prägnanz. Es werden insgesamt 22 Autoren und 22 Gedichte in italienischer Originalfassung und in deutscher Übersetzung des Schriftstellers Christoph Wilhelm Aigners präsentiert. Aigner ist neben seinen eigenen Dichtungen – er gilt als der bedeutendste zeitgenössische Lyriker Österreichs – v.a. für seine Übersetzungen von Giuseppe Ungaretti bekannt. Bereits seit 2003 übersetzt Aigner Gedichte aus dem Italienischen für die Programmzeitschrift der Società Dante Alighieri Salzburg, doch diese Anthologie ist die erste, die anlässlich des achtzigjährigen Bestehens der Dante-Gesellschaft in Salzburg 2015 erschienen ist.

Die Anthologie stellt vor jedem Gedicht seinen Autor auf einer Seite vor, indem biographische und manchmal rezeptionsästhetische Aspekte kurz und bündig dargestellt werden. Auf den folgenden Seiten erscheint jeweils linksseitig das italienische Gedicht und auf der rechten Seite die deutsche Übersetzung. Auf insgesamt 96 Seiten erhält der Leser so einen Überblick über die italienische Lyrik beginnend bei Giacomo Leopardi im 19. Jahrhundert bis hin zu Silvia Bre, die zuletzt 2011 durch ihre Übersetzungen von Gedichten Emily Dickinsons in Erscheinung trat und in dieser Anthologie als Dichterin vorgestellt wird. Giorgio Simonetto verweist in seinem Vorwort zur Anthologie „Poesia Italiana“ auf die Größe dieser kleinen Anthologie: „Schritt für Schritt bildet seine [Aigners] Auswahl exemplarischer Texte eine essenzielle Landkarte italienischer Dichtung, die wesentliche Stationen des komplexen Weges von der Etablierung des modernen lyrischen Ichs bis zu den Entwicklungen unserer Tage veranschaulicht.“ (S. 5) Es ist eine Freude, dass Giorgio Simonetto ankündigt, dass es eine Fortsetzung dieser Anthologie geben wird. Hoffen wir Leser also, dass wir nicht allzu lange warten müssen.

Die hier vorgestellte Anthologie kann bei der Società Dante Alighieri online für 15 € bestellt werden: info@dante-salzburg.at . Wer mehr über und von der Società Dante Alighieri erfahren will, dem sei die Homepage www.dante-salzbur.at empfohlen.
Viel Vergnügen bei der Lektüre, Eure Italienreport-Redakteurin Rike Römhild

Neuerscheinungen aus dem Italienischen im März 2016

Kriminalroman von Gianrico Carofiglio Gianrico Carofligio: Eine Frage der Würde, Ein Fall für Avvocato Guerrieri, aus dem Italienischen von Victoria Schirach, München: Goldmann, März 2016.

Der 1961 in Bari geborene Schriftsteller Carofiglio arbeitet viele Jahre als Antimafia-Staatsanwalt. Mit seinen Krimis um den Avvocato Guerrieri, dessen fünfter Fall nun im März 2016 erscheint, ist er sehr erfolgreich in Italien, Deutschland und der ganzen Welt. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere weht dem Richter Pierluigi Larocca ein scharfer Wind entgegen. Man bezichtigt ihn der Bestechung und Larocco wendet sich an seinen alten Freund, den Anwalt Guerrieri. Die bedingungslose Hilfe seines Freundes wird jedoch auf eine harte Probe gestellt, denn im Laufe des Verfahrens tauchen widersprüchliche Hinweise auf…

 


Enrico Ianniello: Das wundersame Leben des Isodoro Raggiola, aus dem Italienischen von Christiane von Bechtholsheim, München: Piper, 01. 03. 2016.

Der Junge Isodoro führt mit seinen Eltern ein friedliches und harmonisches Leben in einem Dorf in Süditalien. Doch das Glück ist endlich. Isidoros Eltern kommen bei einem Erdbeben ums Leben. Tief traumatisiert verliert Isidoro seine Sprache und taucht, statt zu sprechen, in die Welt der Bücher ein. Als er in Neapel auf einen Unbekannten trifft, verändert diese Begegnung alles in seinem Leben. Der Roman Das wundersame Leben des Isodoro Raggiola ist Ianniellos erster Roman, für den er zahlreiche Auszeichnungen erhielt.

 


Michele Serra: Die Liegenden, aus dem Italienischen von Julika Brandestini, Zürich: Diogenes, 23. 03. 2016.

 
Der Roman erzählt von Väter und Söhnen, von Generationenkonflikten und von neuen Menschentypen, den Liegenden. Im Zentrum steht das Verhältnis zwischen einem Vater, der seinen achtzehnjährigen Sohn beobachtet, der sein halbes Leben liegend zu verbringen scheint. Im Liegen lässt es sich nämlich besser surfen, wie? Rein virtuell natürlich und darüber vergisst der Junge offensichtlich seinen Vater, der dadurch die Gelegenheit erhält, seinen Sohn unbemerkt zu beobachten. Michele Serra ist in Italien auch wegen seiner Kolumnen für La Repubblica und L’Espresso bekannt.

 


Michele Serra: Kleine Feste, Geschichten und Beobachtungen, aus dem Italienischen von Julika Brandestini, Zürich: Diogenes, 23. 03. 2016.

 

In Kleine Feste erzählt Serra von zwölf verschiedenen Ereignissen im Alltag unterschiedlicher Menschen, die wie kleine Feste des normalen Lebens sind und dabei viel essentieller und feierlicher als so manch große Zeremonie. Serra ist ein scharfer Beobachter seiner unmittelbaren Umgebung. „Ein großartiger Autor.“ (Claudio Magris)

 


Antonio Tabucchi: Reisen und andere Reisen, aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl, München: Carl Hanser, 14. 03. 2016.

 
Tabucchi zählt zu einem der wichtigsten italienischen Autoren des 20. Jahrhundert und zu einem der wenigen italienischen Autoren, die wie oder beinah wie sein kürzlich verstorbener Kollege Umberto Eco in Deutschland und in der ganzen Welt ein großes Publikum gefunden hat. Im Hanser Verlag erschienen zahlreiche Titel seines Werks auf deutscher Sprache. In diesem neuesten Band nimmt uns Tabucchi mit an die Orte seiner Erzählungen. Wir sind eingeladen auf eine Reise nach Paris, Madrid, Lissabon, nach Griechenland, Rumänien, Indien, Brasilien. Auf Reisen nähert sich Tabucchi mit seinen Lesern den Grenzen zwischen Realität und Imagination, Fremdheit und Vertrautheit. Nehmen wir sie an, diese Einladung eines erfahrenden Reisenden und weltgewandten Autors.

 


Giorgio Bassani: Die Gärten der Finzi-Contini, aus dem Italienischen von Herbert Schlüter, Berlin: Wagenbach Verlag, März 2016. 
 
Aus der Backlist des Wagenbach Verlags ist einer der wichtigsten italienischen Romane des 20. Jahrhunderts wieder in deutscher Übersetzung erhältlich. Bassani erzählt die Liebesgeschichte zwischen dem jüdischen Mädchen Micól und dem Ich-Erzähler in den 1930er Jahren. Erzählt wird ebenso die Geschichte des italienischen Antisemitismus, die die bürgerliche Familie Finzi-Contini aus Ferrara versucht zu überstehen, indem sie sich in ihr Anwesen zurückzieht und ihre Gärten für die Umgebung öffnet, um so zugleich den jugendlichen Kindern die Teilhabe an der italienischen Gesellschaft und Kultur zu Teil werden zu lassen. Die Gärten der Finzi-Contini war Bassanis erster Roman, mit dem er weltberühmt wurde und der 1970 von dem nicht weniger bedeutenden und bekannten Vittorio De Sica verfilmt wurde.

 


Gaby Wurster (Hg.): Triest. Eine literarische Einladung, Berlin: Wagenbach Verlag, März 2016.

 
Die literarischen Einladungen in die Metropolen und Städte dieser Welt gehören nicht nur seit vielen Jahren zum festen Programm des Wagenbach Verlages, sondern auch dass seiner treuen Leser. Wer schon einmal eine literarische Einladung erhalten hat, weiß worauf er sich freuen kann: Einblicke und Ausblick auf Städte und Landschaften, Landsleute und Touristen, Alltagsgeschehen und Reiseerfahrungen. Neben seiner wechselvollen Geschichte gehört zu Triest auch eine wichtige literarische Tradition, die diese Einladung nicht auslässt: die Lyrik von Umberto Saba und die Prosa von Italo Svevo, außerdem Claudio Magris, Susanna Tamaro und viele mehr. Sie können Sie alle kennenlernen, wenn sie der Einladung folgen mögen. Herzlich Willkommen, in Triest und im Wagenbach Verlag.
 
 

Folge 11: Blau wie das Meer oder „Die Geometrie der Liebe“

Debütroman von Luigi Trucillo

Luigi Trucillo: Die Geometrie der Liebe, Hamburg: mareverlag 2015

Ein Archivar eines Zeitungsarchivs aus Neapel und eine Doktorandin der Sinologie, die sich gerade von ihrem Freund getrennt hat, verlieben sich auf einer Fähre nach Piräus (Griechenland). Hin und her geht es nicht nur zwischen Neapel und den griechischen Inseln Piräus und Samos, sondern vor allem in der schnell entfachten Liebe dieses Paares, der es bis zum Schluss nicht gelingt, bedingungslos und formgleich zu werden. Die Geometrie dieser Beziehung ist keineswegs einfach und schon gar nicht symmetrisch. Während die junge Frau über ein Jahr darauf wartet, mit dem getrennten Familienvater zusammenzuziehen, um ihre Liebe tief und ganzheitlich zu leben, bleibt der Archivar zurückgezogen und misstrauisch. Die rasende, obsessive Eifersucht des Archivars sowie seine Entscheidungsschwäche für ein Leben mit der jungen Frau, aus schlechtem Gewissen seiner Tochter gegenüber, blockieren die leidenschaftliche Liebesbeziehung, die so leicht und innig in einer gemeinsamen Nacht begonnen hatte.

In jeder Paarbeziehung gibt es freie Rollen, die zu besetzen sind.

Als seine Freundin ihm gesteht, auf ihrer mehrmonatigen Chinareise, auf die er sie ebenfalls wegen seiner Tochter nicht begleiten konnte, fremd gegangen zu sein, beginnt dem Archivar die Wirklichkeit zu entgleisen. Auslöser für die bald wahnhafte Eifersucht des namenlos bleibenden Archivars ist schließlich eine Fotografie aus seinem Archiv, die einen Raubüberfall dokumentiert und auf der eine Frau zu sehen ist, die der jungen Sinologin stark ähnelt. Ist sie es? Ist sie es nicht? Was ist an diesem Tag geschehen? Was ist Wahrheit, was ist Lüge? Was Realität, was Irrealität? Der Archivar beginnt der jungen Frau hinterher zu spionieren und in ihren privaten Sachen zu wühlen. Während er ihr ein Parallelleben unterstellt, merkt er nicht, dass er selbst längst ein solches zu führen angefangen hat. In diesem anderen Leben beginnt sich der Erzähler mehr und mehr nicht nur von seiner Normalität, sondern auch von sich selbst zu entfernen. Und so ist diese Geometrie der Liebe vielmehr ein Chaos der Gefühle, die immer wieder umschlagen zwischen Liebe, Anziehung und Nähe einerseits und Ablehnung, Angst und Distanzierung andererseits. Zweisamkeit bleibt letztlich Einsamkeit und die Leichtigkeit der Liebe wird von der Schwere der Eifersucht zerdrückt.

Aber die Dinge sind nur real, 

 wenn wir uns auch entschließen, sie anzusehen.

Welchen Weg also kann diese Liebe nehmen, wenn sie nicht jener Linie treu bleibt als die sie zu Beginn des Romans bestimmt wird: „Die Linie, die du so markierst, ist der Weg, den du für eure Liebe vorzeichnest, die Schwelle, die deine Leidenschaft entschlossen überschreiten will. Nun kann eure Beziehung beginnen.“ (S. 14) Der Weg, den diese Liebe nimmt, entspricht dem tatsächlichen Weg der Protagonisten: es ist der Weg über das Meer. Die Liebe „ist blau wie das Meer“ (S. 47). Das Meer mit seiner glatten Oberfläche ebenso wie mit seinen Untiefen, in denen die Angst des unentschlossenen Archivars strömt: „(…) bist wie ein Schiff, das fürchtet, von der Flasche zerbrochen zu werden, die es vom Stapel laufen lässt.“ (S. 23) Und so wird die Zusammenarbeit der Sinologin mit einem Journalisten des Fernsehsenders RAI für eine Sendung über die chinesische Mafia für den eifersüchtigen Archivar ein „Unterwasserkonflikt“ (S. 39), in dem Angst die bestimmende Strömung bleibt. Das Meer ist der Ort, an dem die Liebe einst entstand, sich zu tragen begann und an dem sie wieder auseinanderströmt. Das Meer ist der Ort, an dem Atmosphäre sich zu Stimmungen verdichtet: „Über der Terrasse ist ein prall mit Wasser gefüllter Mond aufgegangen. Vom Meer kommen Windböen, die sich in den Servietten verfangen und sie gegen die Brüstung wehen.“ (S. 17) Schließlich geht der Archivar über das Meer, fährt auf die Insel Samos, wo er sich auf die Ärztin Yoanna einlässt, um sich an seiner Freundin zu „rächen“. Mit Yoanna, der Frau mit den „schiffbrüchigen Augen“ (S. 73), schwimmt er im kobaltblauen Meer. Mit ihr verlangsamt sich die Zeit, entspannt sich sein Gefühl, wird das „Wasser zur Erlösung“ (S. 90) im Fluss des Lebens. Doch Wellen durchfluten letztlich das Meer wieder und reißen es auf, so wie auch das Sprachmeer Trucillos.

In Trucillos Roman ist fast alles reduziert: die Zahl der Figuren, die Handlungsstränge, die Zahl der Ereignisse, die Orte und Zeiten – nur eines nicht: die Sprache, die wenn sie an sich auch schlicht bleibt, in ihrer poetischen Entfaltung eine visuelle Kraft erlangt, die beeindruckt. Nur stellenweise, wenn der Liebesakt erzählt wird, kippt die Poesie der Wassermetaphorik in die Obsession einer unbedingt konstruierten Sprache: „Als du in sie eindringst, möchtest du mit deinem Glied am liebsten bis hinauf in das Zentrum ihres Blickes, der dich durchtränkt wie eine flüssige Flamme.“ (S. 13) Doch diese nur wenigen Momente überschatten kaum die Individualität und Poetizität dieses Romans. Die Geometrie der Liebe ist ein Roman, den man in einem Rutsch lesen kann oder vielleicht sollte, damit dieser besondere Ton, wenn man ihn endlich zu hören beginnt, nicht wieder abreist und man den vollen Klang von Trucillos eindrucksvoller Poesie erfassen und spüren kann.

In den insgesamt vier Kapiteln, auf die ein Epilog folgt, wählt der Ich-Erzähler die Perspektive des Du, die zunächst etwas befremdlich, zumindest ungewöhnlich und anfangs anstrengend wirkt. Es braucht daher etwas Geduld, um in den Flow dieses Textes zu kommen. Dass der eigentliche Ich-Erzähler die du-Perspektive wählt kann jedoch auch als erstes Anzeichen dafür interpretiert werden, dass er auf Distanz zu sich geht bzw. sich seiner selbst entfremdet fühlt. Entsprechend existentiell sind die Fragen, die Trucillo seinen Erzähler stellen lässt. Doch er hebt keineswegs philosophisch ab, sondern verbindet diese am Wesen des Lebens und der Liebe rüttelnden Fragen mit der episodischen Erzählung ganz alltäglicher Situationen, z.B. dem Einkauf in einem Kaufhaus oder dem Besuch eines Cafés. Ganz subtil gelingt es Trucillo so auch, die Reflexion von Liebe mit einer Kritik am Kapitalismus zu verbinden. Denn suggeriert letzterer, es sei immer möglich alles zu bekommen, was man begehrt, lehrt gerade die Erfahrung der Liebe, das dies nicht so ist.

Nun bist du, wo du bist, und zugleich nirgendwo.

Die Versuche einander zu verstehen und sich selbst zu verstehen, sind verzweifelt und vergeblich. Zu einer Aussprache kommt es nicht und die Liebe bleibt ein leidvoller Kampf um Kontrolle und Gewissheit. In diesem angstvollen Kampf ist echte Hingabe unmöglich. Und so ist die Liebe dieses Paares ein Aufbruch ohne Ankunft, eine Flut, die in der Ebbe versandet, eine Reise ohne gemeinsames Ziel. Ihre Liebe ist ein Torso: „Plötzlich wird dir dramatisch klar, dass du jetzt, da ihr an diesem Punkt angelangt seid, nur noch kämpfen kannst, versuchen, sie zu orten und aus diesem Meer von Distanz zurückzuholen. Doch du hast nicht viel Zeit: Mit jedem Moment, der vergeht, verfangen sich eure Augen einmal mehr woanders, bricht eure Umarmung ein Stück weiter auf.“ (S. 51) Liebe erweist sich als eine Verlusterfahrung, als das Gefühl, den anderen zu verlieren, nicht Teil von ihm werden zu können. Nach einem Streit flüchtet der Archivar in das ihm unerträglich erscheinende Venedig: „Schmerzhaft wird dir bewusst, dass auch ein Bruch eine Verbindung sein kann.“ (S. 58) Doch es bleibt das „schreckliche Gefühl, kurz davor zu sein, etwas zu erfassen, das dir jedoch immer wieder entgleitet. (…) Wie ein Stadtteil der, Zentrum sein will, es jedoch niemals sein wird. Sprich: wie eine Peripherie.“ (S. 123-124)

Dabei ist die Geometrie der Liebe auch eine Geometrie der Zeit. Hatte sich Zeit mit Yoanna entspannt und verlangsamt, beschleunigt sie sich mit der jungen Sinologin bis zu einem Moment höchster Spannung. „Du hast auf die Gegenwart gewartet. Die Ehrlichkeit einer Gegenwart, die frei ist von Eifersucht auf die Vergangenheit (…). Eine Gegenwart. Hier. Jetzt. Wie das tuckernde Fischerboot, das vor deinen Augen das azurblaue Wasser des Hafens von Samos durchpflügt.“ (S. 100) Der Augenblick absoluter Gegenwärtigkeit der Liebe wird auf Samos jedoch durch einen tagelangen Brand zunichte. Der Archivar trennt sich von Yoanna und nähert sich erneut der Sinologin an. Doch mit ihr nimmt die Zeit eine andere Richtung: „Die Zeit verändert sich, die Zeit wird zu einem fremden Land.“ (S. 126) Als der Archivar private und intime Briefe auf dem Computer seiner Freundin findet, reißt seine Obsession alle Dämme ein und wird rasend. Trucillo gelingt es noch auf der letzten Seite die Spannung auf ihren Höhepunkt zu halten und den Schiffbruch dieser Liebesbeziehung mit einer der Novelle ähnlichen unerhörten Begebenheit aufzulösen… Was bleibt, ist eine Liebe, die sich anfühlt „wie eine einzige offene Wunde“ (S. 60).

Luigi Trucillo wurde 1955 in Neapel geboren. Er ist später Romancier, denn Die Geometrie der Liebe, 2015 im mareverlag erschienen, ist sein erster Roman. Doch den italienischen Lesern (leider nicht den deutschen) ist er bereits als Lyriker bekannt und das verwundert kaum bei der Lektüre seines Romans, der von der Dichte und Intensität der lyrischen Sprache genährt ist. Trucilllos Roman erschien in Italien 2013 im Mondadori Verlag unter dem Titel Quello che ti dice il fuocoDas, was dir das Feuer sagt, ein Titel, der den Brand dieser obsessiven Liebe vielleicht etwas treffender einleitet als sein deutsches Pendant. Doch das ist kaum von Gewicht, bleibt Die Geometrie der Liebe ein dringend zu empfehlender Roman für all jene, die im Meer der Neuerscheinungen nach einer kunst- und niveauvollen, einer reflektierten und eindringlichen Stimme suchen. 

Luigi Trucillo: Die Geometrie der Liebe, aus dem Italienischen von Valerie Schneider, Hamburg: mare Verlag 2015. 18,00€. Mehr unter: http://www.mare.de/index.php?article_id=4179